Mittelbayerischer Zeitung / Freitag, 19. Dezember 2014 / von Florian Sendtner



Honig aus dem Antennenwald
Die GRAZifikation Regensburg lotet die Möglichkeiten des babylonischen Dialogs aus und schwelgt im polyphonen Kunstkanon.

Die schlechte Nachricht zuerst: Das Beste an der diesjährigen GRAZifikation ist leider schon vorbei. Das war nämlich die Performance von Manfred Schimchen bei der Eröffnung der alljährlichen Ausstellung im Kunstverein Graz, bei der neben Mitgliedern traditionell Gäste mit von der Partie sind. Manfred Schimchen also stellt sich hin, aus dem Lautsprecher ertönt eine Instrumentalversion von „Je t’aime“, und dann legt der Sänger los: „Je t’aime“ auf Klingonisch.

Mit geschlossenen Augen, fast das Mikrofon verschluckend, röhrt Manfred Schimchen in die stade Zeit hinein, ein unablässiges, sich stetig steigerndes, inbrünstig-infernalisches, außerirdisch-animalisches, zärtlich-kannibalisches Löwengebrüll, Pantherfauchen und Säbelzahntigerseufzen, dass die Zuhörer in fassungsloser Andacht davorstehen. Französisch ist die erotischste Sprache der Welt? Naja, nach Klingonisch! Serge Gainsbourg, egal ob mit Brigitte Bardot oder mit Jane Birkin, klingt gegen Manfred Schimchen wie ein Kindergeburtstag!

Jetzt aber die gute Nachricht: Der Rest der von Albert Plank kuratierten 12. GRAZifikation ist noch bis 5. Januar zu bewundern, auch wenn neben etlichen Kunstwerken schon der rote Punkt klebt. „Möglichkeiten eines Dialogs in Bild, Ton, Objekt, Installation, Performance“ waren gefragt, und zwei Dutzend Künstler haben geliefert. „Dialog“ ist ja ein gängiger Propagandabegriff („Dialog mit dem Bürger“ usw.), ein Lieblingswort der Herrschenden, die nicht mit sich reden lassen und deshalb andauernd vom „Dialog“ schwafeln. Um klar zu machen, dass im Kunstverein Graz – zumindest innerhalb dieser Ausstellung – der herrschaftsfreie Diskurs ausgerufen ist, das ungezügelte Stimmengewirr, hat Kurator Albert Plank dieser GRAZifikation ein Motto von Karl Popper vorangestellt: „Der Wert eines Dialogs hängt vor allem von der Vielzahl der konkurrierenden Meinungen ab. Hätte es den Turm zu Babel nicht gegeben, müssten wir ihn erfinden.“

Voilà! An der Vielzahl der konkurrierenden Meinungen ist in dieser Ausstellung kein Mangel! Und der Dialog findet hier vorzugsweise zwischen völlig verschiedenen Subjekten statt. Matthias Schlüter macht das gleich unmissverständlich klar: Da stehen drei expressionistisch-verschrobene Stühle mit ellenlanger Lehne oder schwindelerregend hohen Beinen drei Stuhlbildern gegenüber: Der Tod, die rotstöckelige Dame und das Zebra. Der Tod hat mit seinen kurzen Knochenbeinen den Stuhl mit den langen Beinen erwischt, die Dame und das Zebra, beide hochbeinig, einen lächerlich niedrigen Stuhl mit dafür umso höherer Lehne. Das Leben ist absurd und ungerecht. Und doch unendlich schön.

Kettenbild von drei Dutzend Künstlern
Die ganze Stirnwand wird eingenommen von einem Monumental-Triptychon (Acryl auf Karton) von Christian Havlicek mit dem Titel: „Drei Phasen der Liebe“. Ein surreales Symposium am Marmortischchen. So skurril-opulent kennt man Havlicek gar nicht. Einen Dialog der besonderen Art führt Renate Haimerl Brosch mit Bienen, deren Waben im Imkerrahmen sie mit ätherisch feinen Drahtskulpturen zu wildwuchernden Traumkompositionen zusammenfügt: „Antennenwaldhonig“ oder „Schwänzeltänzer“. Weiches, flächiges Bienenwachs und starrer, dünner Metalldraht – doch die denkbar disparaten Materialien fügen sich zu einer verblüffend legitimen Legierung zusammen.

Die kunsthistorisch ambitionierte Madonna von Vincent Pollak dagegen, die Hände fromm gefaltet, den Blick züchtig gen Boden gesenkt, führt ein Zwiegespräch mit den drei Siebdrucken „Hand-Flash“ über der Bar: „STAY TRUE“ ermahnt eine Tätowierung auf den Händen hier wie dort. Und daneben zeigt Rayk Amelang den grotesk-comicartigen Dialog zwischen Stier und Torero sowie, zusammen mit Nico Sawatzki, ein beeindruckendes Heldenporträt von Donald Duck als Superman: „Superduck“. Angesichts von Jürgen Hubers vogelwilder „Domino-Theorie“ (Öl auf Leinwand) wiederum will man auf der Stelle ein Fisch im Wasser sein, „im flaschengrünen, tiefen See“, wie Nina Hagen sang, „mit Neptun schweigen und in Ruhe tun, was man sonst nie tut, was man sonst nicht kann und soll.“

Ganz zu schweigen von den subtilen Bosheiten von Albert Plank und Veronika Schneider, den akurat ausgetüftelten Attacken von Axel Schmidt und Jörg Haala und den wunderbar komponierten Kunstwerken von Renate Christin und Barbara Gaukler. Letztere hat zusammen mit drei Dutzend Leuten von 5 bis 75 ein etliche Meter langes Kettenbild fabriziert, das eine überaus hübsch gezeichnete, witzig-assoziative Geschichte erzählt. 50 Zeichnungen, die miteinander im Dialog sind: ein babylonisches Bildergeschlängel von unwiderstehlichem Charme.




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